Gemütlich essen in fremden Wohnzimmern und mit Menschen, die man noch nie vorher gesehen hat: Dieser Trend aus den USA ist mittlerweile auch nach Deutschland geschwappt, vor allem in große Städte wie Berlin. „Supper Clubs“ heißen solche Privatrestaurants. Hier lesen sie, was diese „Restaurants“ von konventionellen Lokalen unterscheidet und wie Interessierte ein Privatrestaurant finden.
Schuhe aus – und die Toilette ist den Gang runter
Schuhe ausziehen?“ – „Ja, bitte.“ Frank Prößdorf steht im Flur seiner Berliner Dreizimmerwohnung, die er zusammen mit seiner Frau bewohnt. Neun Gäste führt der 30-Jährige der Reihe nach in sein Wohnzimmer. Außer einem befreundeten Paar kennt Frank Prößdorf niemanden von ihnen. Auch die Besucher untereinander sind sich fremd. Alle haben am Tag zuvor eine E-Mail bekommen mit genauen Angaben zum Ort der Veranstaltung. Der Gastgeber räuspert sich: „Willkommen im Voi Supper Club. Schön, dass ihr da seid. Die Toilette ist den Gang runter, erste Tür rechts. Es gibt keinen Schlüssel, also lasst am besten das Licht an, wenn ihr im Bad seid.“
Der Ursprung liegt in Kuba
Supper Clubs wie den von Frank Prößdorf gibt es überall auf der Welt. „Supper“ ist das englische Wort für „Abendessen“. Der Ursprung der Supper Clubs liegt vermutlich in Kuba. Dort laden Familien seit langem zu sich nachhause ein und kochen für Touristen, die echtes kubanisches Essen und Lebensgefühl kennenlernen wollen. Mit den Jahren ist der Trend auch nach Deutschland geschwappt. Mehr als 60 Privatrestaurants gibt es hierzulande, gut die Hälfte in Berlin. Jeder Supper Club ist einzigartig. Es gibt keine gesetzlichen Regeln, denen die Betreiber folgen müssen. Die Lokale sind nirgendwo offiziell gemeldet.
Der IT-Experte steht am Herd
Hanna und Frank Prößdorf sind keine gelernten Köche. Sie ist Lehrerin, er arbeitet in der IT-Branche. Beide begeistern sich für gutes Essen, ein Luxusmenü ist ihnen schon mal ein paar hundert Euro wert. Sie sind in Familien aufgewachsen, deren Leben sich in der Küche abspielte. „Mein Vater ist Koch. Dadurch wollte ich immer schon Rezepte ausprobieren“, sagt Hanna Prößdorf. Ein paar Mal waren die beiden schon selber in fremden Wohnzimmern zu Gast.
Die Menüs zeigen die Herkunft
Dann entschieden sich die Prößdorfs, es mit einem eigenen Privatrestaurant auszuprobieren. Sie nennen es „Voi“. Es ist der finnische Name für „Butter“. „Wir wollten es kurz und prägnant“, erklärt Hanna Prößdorf, die Finnin ist. Ihre Herkunft soll sich möglichst in den Menüs widerspiegeln, mindestens die Überschriften auf der Speisekarte sind auf Finnisch.
Gewinn machen ist nicht erlaubt
Ob das Betreiben von Supper Clubs in Deutschland legal ist, darüber grübeln die Experten. „Auf zivilrechtlicher Ebene ist das Betreiben eines Supper Clubs unproblematisch“, erklärt Katja Brzezinski, die Geschäftsführerin der Forschungsstelle für Deutsches und Europäisches Lebensmittelrecht der Universität Bayreuth. Zwischen Gastgeber und Gast werde mündlich ein Vertrag geschlossen. „Nichts gegen einen kulinarischen Abend in privater Atmosphäre“, sagt auch Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Zu hinterfragen sei aber, „ob und in welchem Maße gastronomisch mit Gewinnerzielungsabsicht agiert wird. Damit hätten wir definitiv ein Problem.“ Kurzum: Wird Geld verdient, verwandelt sich das Privatrestaurant in einen Gastronomiebetrieb. Der Betreiber muss ein Gewerbe anmelden, Steuern zahlen und Auflagen beachten – vom Brandschutz bis zu Hygienevorschriften.
„Sie wissen nicht, wer wir sind“
Die Stuttgarterin Christine Windisch* wähnt sich auf der Seite des Gesetzes. Seit einem Jahr laden ihr Freund und sie alle drei Monate zum Supper Club „Frida Kahlo“, dem ersten und bislang einzigen in Stuttgart. „Wir heben alle Belege auf, um notfalls zeigen zu können, dass wir keinen Verdienst haben“, betont die Gastgeberin. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen. Das Geheimnisvolle gehöre zum Erlebnis, davon sind die Clubveranstalter überzeugt. „Unsere Gäste wissen nicht, wer wir sind, wir wissen nicht, wer kommt. So bleibt es für alle eine Überraschung, bis wir uns an der Tür treffen.“ In ihrem Wohnzimmer essen Menschen, die sich mitunter zu weiteren Treffen verabreden. „Das ist das Bereichernde“, freut sich die Stuttgarterin. „Wir bringen Leute zusammen, die sonst nie an einem Tisch sitzen würden.“
Nach Allergien fragen sie per E-Mail
Hanna und Frank Prößdorf haben jedes Essen mindestens einmal gekocht und gegessen, bevor sie es anderen anbieten. Mögliche Allergien oder Unverträglichkeiten fragen sie vor der Menüplanung sorgsam per E-Mail ab. Eine Teilnehmerin dieses Abends darf wegen einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse beispielsweise kein jodiertes Speisesalz essen. Die Prößdorfs reizt vor allem der Nervenkitzel, in kurzer Zeit für mehrere Personen ein perfektes Menü zu kredenzen. „Es geht um die Herausforderung – schaffen wir es oder nicht?“, erzählt Hanna Prößdorf, als sie sich gegen Mitternacht mit ihrem Mann zu den Gästen im Wohnzimmer gesellt. Selbstgemachte Champagnertrüffel und fruchtiger Milchshake im Schokobecher machen zum Abschluss die Runde. Die Besucher diskutieren die richtige Konsistenz der Schoko-Rotweinsoße und sind uneins: War Hirsch oder Wachtel besser?
Besucher tragen das Risiko
Sollte sich ein Gast einmal den Magen in einem Supper Club verderben, muss er nachweisen, dass der Betreiber einen Fehler gemacht hat. Im Restaurant dagegen liegt die Beweislast nicht beim Gast. Der Wirt muss belegen, dass das Essen okay war. „Das ist ein Risiko, das man als Gast eines Supper Clubs eingeht“, so Wolfgang Voit von der Forschungsstelle für Lebensmittelrecht der Uni Marburg. „Niemand kann ernsthaft erwarten, dass Privatpersonen Hygienestandards wie Gaststätten einhalten.“ Auch für rutschfeste Böden, besonderen Feuerschutz oder speziell abgesicherte Balkonbrüstungen ist in den Privatclubs von Amts wegen niemand zuständig. „Das sind ganz normale Wohnungen“, betont Tanja Lier, Leiterin des Stadtentwicklungsamts Berlin-Mitte, dem auch die Bauaufsicht untersteht. „Wenn man so eine Einladung annimmt, geht man auf eigene Gefahr hin.“
40 Euro pro Person in den Karton
Diese Bedenken sind den Gästen von Hanna und Frank Prößdorf fremd. Neben der Lust auf gutes Essen hat sie die Neugier in den Supper Club getrieben. „Das hier ist eine ganz andere Art, neue Leute kennenzulernen“, sagt Daniel Kirsch*, der ein paar Häuser weiter wohnt. Während sonst Gäste zwischen 40 und 50 Jahre kommen, sind die Besucher an diesem Abend zwischen 25 und 35 Jahre alt. Sie haben Gemeinsamkeiten entdeckt, viel gelacht. Den Gast Thilo Utke reizt das Einzigartige: „Das kannst du nicht reproduzieren.“ Es ist ein Uhr nachts, als die Gastgeber an die Bezahlung erinnern. 40 Euro pro Person berechnen sie für Essen und Wein. Als Kasse dient ein Schuhkarton, gut sichtbar aufgestellt neben der Tür.
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